(DEU. Berlin, Suhrkamp. 2013) : " Eine Pilgerreise". Spanien (vorne) und Shikoku (hinten). récit. (de)

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  • 15 avril 2015
    Bernard Delhomme

    Der Autor, Jg. 1980, lebt in Brooklyn und schreibt für angesehen amerikanische Zeitungen und Zeitschriften. 2007 kam er für ein Jahr mit einem Stipendium nach Berlin. Dies ist sein erstes Buch, autobiografisch geprägt. Er ist Jude, die Mutter Rabbinerin, der Vater Rabbiner, aber liberal aufgewachsen. In Berlin wird er mit seinem Jüdisch-Sein konfrontiert. Lewis-Kraus zeichnet hier ein Bild der Berliner Bohème, wie man es sonst kaum findet. Aber dann ist er mit seinem Freund Tom zum gemeinsamen Pilgern verabredet, so hat er die Notiz in seinem Kalender.
    Es geht nach Santiago, auf einem langen Weg. Was ihm am „Jakobsweg gefällt, ist die Abwesenheit der
    Glaubensfrage. Das Ritual ist immer noch fast unverändert, auch wenn der Inhalt größtenteils verschwunden ist.“ (S.113) Und es wächst der Wunsch noch weiter weg eine Pilgerreise zu finden, auf der Glaube kein Thema ist und man einfach nach Anweisung läuft, und sich beim Laufen nach Anweisung gut fühlen kann. Zurück in Berlin stellt Gideon nach ein paar Wochen fest, dass er so schnell wie möglich hier weg muß. Über die hohen jüdischen Feiertage fliegt er zu seiner Mutter. Der alljährliche lustlose Synagogenbesuch war ihm trotz allem ans Herz gewachsen.
    Aber längst hat in der „Ohenro“ angezogen, der japanische Pilgerundweg zu 88 Tempeln auf der Insel Shikoku. Das schien die passende Ergänzung zum Camino. Der Weg ist weithin einsam ; gelegentlich ist er für ein paar Tage in Begleitung. Die Gedanken kreisen. Und Gideon wird immer unsicherer, ob es einen Unterschied zwischen Pilgern und Touristen gibt. „Als Pilger hofft man, dass einen die Erfahrung irgendwie verändern wird, aber sie verändert einen nur in dem Sinne, dass jede Erinnerung eine Veränderung ist. Wie der Pilger hofft auch der Tourist, dass diese Momente Bestand haben.“ (S. 265)
    Es folgt schließlich eine dritte Pilgerreise zusammen mit seinem Vater nach Uman in der Ukraine. Der jüngere Bruder Micah, der diese Fahrt organisiert hat, kommt dazu. Hier feiern alljährlich Zehntausende Juden aus aller Welt zur Erinnerung an Rabbi Nachman, den Urenkel des Rabbi Israel ben Elieser, genannt Baal Schem Tov, des Begründers der chassidischen Bewegung, Rosch Ha-schana. Das wichtigste Ereignis ist das Treffen am Grabe Nachmans.
    Die drei Pilgerfahrten liegen wie eine Folie über dem Vater-Sohn-Verhältnis. Der Vater ist schwul. Zunächst versteckt. Dann verläßt er Frau und Söhne und lebt seine Neigung mit einem Partner. Der Sohn konnte es nur ahnen. Aber nie wurde darüber gesprochen. Erst hier in Uman geschieht es. Der Vater macht den Söhnen klar, dass er immer schon das gemacht hat, was er wollte - er hat geschlafen, mit wem er wollte, gleichzeitig eine Ehe geführt und ein Familienleben gehabt, das ihm wichtig war. Es war das Eingeständnis, dass er all diese Dinge getan hat, weil er sie tun wollte. Die Person, auf die die Söhne so lange wütend waren, war nicht die Person, mit der wir es uns jetzt – zu unserer eigenen Überraschung und Begeisterung – gut gehen lassen konnten. (S. 375) Und Gideon ruft seinem Bruder Micah beim Abschied zu : „Wir müssen ihm nicht verzeihen, weil er sich das verdient hätte, sondern wir verzeihen ihm, weil wir ihn lieben. Wir verzeihen ihm, weil wir es können.“ (S. 376) Ein bewegendes Buch.